Entwurf des Brandenburgischen Kinder- und Jugendgesetzes weist Konstruktionsmängel auf

 Gemeinsame Stellungnahme von Landesverbänden und -einrichtungen in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit und Jugendschutz

Mit dem uns vorliegenden Entwurf des Brandenburgischen Kinder- und Jugendgesetzes (BbgKJG) ist der Versuch unternommen worden, die Regelungsbedarfe aus der Bundesgesetzgebung (KJSG vom 10.06.2021), ein Kinderschutzgesetz (Koalitionsvertrag der 7. Legislaturperiode) und weitere Reformbedarfe in einem Gesetz zu verankern, das außerdem den Anspruch hat, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken, Jugendhilfe in Brandenburg inklusiver zu gestalten, Prävention vor Ort zu ermöglichen und den Adressat*innen der Jugendhilfe mehr Beteiligungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Mit diesem Ansinnen und dem dazugehörigen Entwicklungsprozess, der partizipativ die Leistungserbringer und die Adressat*innen der Jugendhilfe angesprochen hat, hat das Ministerium neue Wege beschritten. Ausdrücklich möchten wir an dieser Stelle diese Anstrengungen positiv hervorheben. Ein solcher Ansatz ist zweifellos lobenswert und von großer Bedeutung, da es darum geht, eine inklusive und unterstützende Gesellschaft zu schaffen, in der das Wohl der jungen Menschen im Mittelpunkt steht. Ebenso möchten wir die festgeschriebene Verankerung und Weiterentwicklung von Fachexpertise in den verschiedenen Themenbereichen, durch unabhängig von der Landesregierung arbeitenden Fachstellen, ausdrücklich begrüßen. Damit kann insbesondere der Transfer von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Einflüssen auf die Kinder- und Jugendhilfe unterstützt und die wichtige Schlüsselfunktion der Vermittlung zwischen Arbeits- und Entscheidungsebene des MBJS gestärkt werden.

Der Reformprozess und die ausformulierten Regelungsinhalte weisen aus unserer Sicht allerdings gravierende Schwächen auf, weshalb wir Sie dringendst darum bitten möchten, für die notwendige Diskussion des Gesetzesentwurfes durch die Praxis bzw. die sie vertretenden Verbände mehr Zeit einzuplanen und nicht den Versuch eines übereilten Beschlusses zum 01.01.2024 zu unternehmen. Wir verstehen das Anliegen der Koalition, noch in der laufenden Legislatur ein wichtiges Gesetz zu verabschieden, betrachten aber mit Sorge die Folgen einer vorschnellen Verabschiedung für die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe.

Wir möchten daher unsere Bedenken, konkreten Einwände und Positionen in einem Gespräch mit Ihnen persönlich erörtern und bitten Sie, mit uns hierfür einen Termin abzustimmen.

Im Folgenden möchten wir vorab die Gelegenheit nutzen, wichtige Aspekte unserer Bedenken aufzuführen. Aus unserer Sicht weist der vorliegende Entwurf an einigen Stellen noch Widersprüche zum SGB VIII, inkonsequente Formulierungen innerhalb des Gesetzentwurfes sowie Leerstellen auf. Es handelt sich hierbei um die gemeinsamen Anliegen der unterzeichnenden Landesverbände und – einrichtungen. Weiterführende Informationen finden sich zudem in den konkretisierenden Stellungnahmen einzelner Fachverbände.

  1. Beteiligung der Fachpraxis: Gespräche mit Mitarbeitenden von öffentlichen wie freien Trägern der Jugendhilfe haben unseren Eindruck verstärkt, das wichtige Anliegen und Positionen in den bisherigen Beteiligungsverfahren nicht berücksichtigt werden konnten. Dies kann mitunter auf strukturelle Phänomene zurückzuführen sein, die sich durch den Beteiligungsprozess nicht aufheben lassen. Wir sehen darin aber auch die marginale Stellung der Jugendförderung im Kanon der gesamten Kinder- und Jugendhilfe. So nehmen Aspekte der Kindertagesbetreuung und der Hilfen zur Erziehung regelmäßig mehr Raum in den arbeitsfeldübergreifenden Sitzungen ein (bspw. LKJA, Sitzungen der Jugendamtsleitungen). 
  2. Missverstandenes Beteiligungskonzept: Die Stärkung der Beteiligungsrechte junger Menschen im Gesetzesentwurf ist zweifelsohne ein positiver Aspekt, allerdings entsteht der Eindruck, dass die Stärkung der Rechte über die reine Repräsentanz junger Menschen in Gremien (insb. Im LKJA) am Ziel vorbei geht. Einerseits fordern gesetzliche Regeln, wie Art. 12 UN KRK und in diesem Sinne auch §18a BbgKVerf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen „in allen sie berührenden Angelegenheiten“. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass diejenigen beteiligt werden sollten, die berührt sind. Über die Vertretung junger Menschen ist dies nicht hinreichend möglich und es kann konzeptionell zu dem Missverständnis kommen, dass Beteiligung stattgefunden hätte. Aus unserer Sicht gäbe es hier andere Instrumente, wie z.B. die Berücksichtigung der „Kindesinteressen“ bzw. des „Kindeswohls“ im Sinne des Art. 3 UN KRK über eine beteiligungsorientierte Landesjugendhilfeplanung, die methodisch freier die Betroffenen einbeziehen kann. Auch bei Einhaltung entsprechender „jugendgerechter“ Standards (u.a. Sprache, Begleitung, Zugänglichkeit), besteht die Gefahr bei einer Überrepräsentanz Erwachsener und von Vertreter*innen der staatlichen Strukturen, dass es zu einer „adultistischen“ Bevormundung kommt und junge Menschen nicht als Expert*innen ihrer Lebenswelten wahrgenommen werden.
  3. Landes-Kinder- und Jugendausschuss: Sowohl die veränderte Zusammensetzung (erheblicher Stimmenzuwachs der örtlichen Jugendämter sowie der sonstigen staatlichen Akteure, Altersquotierung, fehlende Politiker*innen) als auch die Veränderung der Beschlussrechte (mehr Beschlussrechte aber Vetorecht der Kommunalen Spitzenverbände durch §105 Absatz 3) wird durch uns kritisch gesehen. Wir kritisieren außerdem, dass die Stimmen der freien Träger, Kirchen und freigeistigen Verbände beschnitten wurden. Die Zusammensetzung des LKJA darf nicht dazu führen, dass die Interessen einzelner Gruppen (z.B. junger Menschen) gegen die von anderen ausgespielt werden. Weiterhin bleibt zweifelhaft, ob das Gremium sich in Sitzungskultur und Format so aufstellen kann, dass sowohl die zeitlichen als auch fachlichen Ansprüche der einzelnen Zielgruppen ausreichend beachtet werden, um einerseits den hohen Anforderungen an das Gremium gerecht zu werden und andererseits Formate zu finden, um die jugendliche Akteur*innen ernsthaft zu beteiligen.
  4. Präventionsaspekte und erzieherischer Jugendschutz: Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII und der erzieherische Kinder- und der Jugendschutzes nach § 14 SGB VIII sind zwei Bereiche, die aber wie in Kapitel 2 und 3 gut zusammengedacht werden können. Hierfür wäre eine Ergänzung der pädagogischen Prävention in den Strukturen des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes beispielsweise in Kapitel 3 wichtig, um ein Gesamtkonzept für einen guten Kinder- und Jugendschutz in allen Aspekten zu erfüllen.
  5. Jugendförderung: Die Definition der Arbeitsfelder der Jugendförderung (Kapitel 8) bleibt deutlich hinter den erhofften Formulierungen zurück. So verkürzt § 82 die Jugendarbeit unzulässig auf Aspekte der Freizeitbeschäftigung und –gestaltung, ohne die für sie prägenden Prämissen der Entwicklungsförderung und demokratischen Bildung zu berücksichtigen. Jugendarbeit leistet einen wesentlichen Anteil an außerschulischen, non-formalen Bildungsangeboten und schafft Freiräume. Die Zugänge sind vielfältig und reichen von Angeboten der Kulturellen Bildung über Medienbildung hin zu Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Sparten der Jugendarbeit mit ihren breit verankerten Netzwerken im Land Brandenburg müssen weiter gestärkt werden – u.a. mit der Festschreibung von Jugendarbeit und ihrer vielseitigen Zugänge durch Kulturelle Bildung, Medienbildung und andere als außerschulisches Bildungsangebot im Gesetzestext. Zudem wird Jugendsozialarbeit entgegen der sich aus den Überschriften ergebenen Vermutungen gar nicht konkretisiert.
  6. Medienbildung: Die positiven und gut ausgeführten Regelungen zur Medienkompetenz als wesentlicher Teil des Jugendmedienschutzes in § 17 begrüßen wir ausdrücklich. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass im vorliegenden Gesamtentwurf Medienkompetenz und Medienbildung ausschließlich unter dem Aspekt des ohne Zweifel essenziellen Jugendmedienschutzes und der digitalen Informationsvermittlung eingeordnet wird. Die Rolle der Digitalisierung und Medienbildung für Aspekte des kritisch-kreativen Umgangs, für die Beteiligung junger Menschen an gesellschaftlichen Debatten und die Bedeutung für politische Willensbildungsprozesse sowie die politische Bildung selbst werden hingegen nicht ausreichend berücksichtigt. Wir empfehlen eine diesbezügliche Konkretisierung und Verankerung in § 142 (Digitalisierung).
  7. Selbstbestimmungsrecht freier Träger: Der § 147 formuliert treffend, dass freie Träger nicht im Auftrag der öffentlichen Träger, sondern aus einem eigenen grundgesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrecht heraus tätig werden. Aus diesem Grund hat der Bundesgesetzgeber die Einbeziehung der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe über das Subsidiaritätsgebot (§ 4 Abs. 2 SGB VIII) sowie die Einbindung in die grundlegenden Entscheidungen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe über den Jugendhilfeausschuss (§ 71 SGB VIII) sichergestellt. Diese Aspekte scheint der vorliegende Entwurf jedoch zu ignorieren, wenn ebendiese Perspektiven auffällig zurückgedrängt werden (vgl. § 83 (2), § 106, § 103 S. 4). Zudem legen manche Formulierungen nahe, dass das Selbstbestimmungsrecht freier Träger umgangen werden soll (vgl. § 143 (1) i.V.m. § 152 (1) Nr. 1, § 151).

Unser Anliegen ist es, darauf hinzuweisen, dass sich diese „Konstruktionsmängel“ nicht durch einfache Korrekturen und Ergänzungen beheben lassen, sondern einer vertieften Diskussion bedürfen. Daher möchten wir unsere deutliche Empfehlung, dem Diskussionsprozess mehr Zeit und ein koordiniertes Vorgehen einzuräumen, an Sie richten! Wir bieten uns insbesondere für die uns betreffenden Regelungsinhalte ausdrücklich als Gesprächspartner*innen an, um Hintergründe zu den Positionen darstellen und die Fachexpertise der Praxis in den Prozess der Gesetzesentwicklung einbringen zu können.

 

Über einen Vorschlag zu einem gemeinsamen Gesprächstermin würden wir uns sehr freuen und verbleiben mit freundlichen Grüßen.

Kontakt

Aktion Kinder- und Jugendschutz Brandenburg e. V.

Schulstr. 9, 14482 Potsdam
Jessica Euler: euler@jugendschutz-brandenburg.de

Fachverband Jugendarbeit / Jugendsozialarbeit Brandenburg e. V.

Charlottenstr. 123, 14467 Potsdam
Sebastian Müller: sebastian.mueller@fjb-online.de

Landesfachverband Medienbildung Brandenburg e. V.

Dennis-Gabor-Str. 2, 14469 Potsdam
Björn Schreiber: schreiber@medienbildung-brandenburg.de

Landesjugendring Brandenburg e. V.

Breite Str. 7a, 14467 Potsdam
Melanie Ebell: melanie.ebell@ljr-brandenburg.de

Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Brandenburg e. V.

Dennis-Gabor-Str. 2, 14469 Potsdam
Anna Behrend: behrend@lkj-brandenburg.de

Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg

Träger: Stiftung Wohlfahrtspflege Brandenburg – Gemeinschaftsstiftung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Brandenburg
Tornowstr. 48, 14473 Potsdam
Dominik Ringler: dominik.ringler@kijubb.de

13. Juni 2023