Diese Handlungsempfehlungen sind im Zuge des Projektes „Implementierung der Jugendapp“ mit den Städten Neuruppin und Angermünde entstanden. Finanziert wurde und wird das Projekt seit Ende 2023 vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport aus den Mitteln der Landes-Kinder und Jugendbeauftragten Katrin Krumrey in zwei Förderphasen. Weitere Projektdetails können der Projektseite entnommen werden. Die zu implementierende App heißt Jugendapp.
Es gibt viele gute Gründe für die Nutzung digitaler Tools in Beteiligungsprozessen z. B. die Unabhängigkeit von Ort und Zeit, die Transparenz oder die leichtere Verbreitung von Informationen. Doch digitale Tools können nicht alle Schwierigkeiten überwinden. Hier ein paar klassische Missverständnisse.
In der digitalen Beteiligung von Jugendlichen gibt es oft folgende Missverständnisse
Beteiligungsverfahren – egal ob analog oder digital haben die gleichen Herausforderungen:
- Nur wenn ich erfahre, dass es ein Beteiligungsverfahren gibt, kann ich daran teilnehmen.
- Und nur wenn ich das Thema für relevant und wichtig halte, werde ich daran teilnehmen.
- Es braucht also Öffentlichkeitsarbeit und auch Lobbyarbeit.
Auch wenn das Internet und digitale Medien für die meisten jungen Menschen ein alltäglicher Teil ihrer Lebenswelt sind, braucht es mehr als ein digitales Tool, um Jugendliche zu erreichen.
Denn: Jugendliche sind unterschiedlich. Auch unterschiedlich alt. Es braucht Zielgruppen-gerechte Formate, Orte und Ansprachen. Oft auch in analogen Räumen.
Und: Jugendliche haben auch ein Recht darauf, sich nicht zu beteiligen.
Gute digitale Kinder- und Jugendbeteiligung spart leider kein Geld, sondern erfordert, genau wie die analoge Jugendbeteiligung, ausreichende finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen. Es braucht eine kontinuierliche und intensive pädagogische Begleitung der Kinder und Jugendlichen.
Digitale Jugendbeteiligung braucht ein Konzept, ein passgenaues Tool und einen echten und auch relevanten Beteiligungsgegenstand. Es muss klar sein, bei welchen Fragen und in welchem Maß die Kinder und Jugendlichen beteiligt werden und auch wieviel Entscheidungsmacht und -kontrolle bewusst abgegeben wird. Nichts ist schlimmer als Pseudo-Beteiligung, bei der unklar bleibt, ob und inwiefern Beiträge überhaupt berücksichtigt werden.
Je mehr Einfluss die Kinder und Jugendlichen erhalten sollen, desto komplexer und aufwändiger wird ein Beteiligungsverfahren.
Ernst gemeinte Beteiligung erfordert eine Bereitschaft, die eigenen Kompetenzen zu erweitern und bestehende Strukturen und Sichtweisen zu verändern.
In der ersten Förderphase des Projekts hat sich gezeigt, dass die vorhergehenden Missverständnisse im Kontext digitaler Beteiligung sich auch in den Erfahrungen der ersten Monate widerspiegeln. Die Einführung einer/der Jugendapp benötigt:
Vorlauf und Überzeugungsarbeit
Die beiden Städte des Projekts hatten unterschiedliche Startvoraussetzungen: Die eine Stadt hatte sich schon lange für die Implementierung der App entschieden, die andere kam recht spontan ins Projekt. Die dritte Stadt, die ursprünglich fürs Projekt angesprochen worden war, hatte sich ebenfalls schon mit der Einführung einer App beschäftigt, wollte jedoch erst einmal mit einer eigenen Umfrage über die Sozialen Medien den Bedarf der Jugendlichen und Fachkräfte abfragen. Ein langer Prozess der Abwägung der Pro und Contras sowie Fragen der (finanziellen) Ressourcen haben schließlich zu einer Absage geführt.
Verbindliche und kontinuierliche Koordination
Gerade im Vergleich der beiden Städte hat sich gezeigt, welchen Vorteil es bietet, wenn es eine Person gibt, die explizit für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zuständig ist. Jugendarbeit ist in der Regel mit knappen Ressourcen ausgestattet. Die Jugendarbeiter*innen haben in ihrem Berufsalltag ein breites Spektrum an Aufgaben und Anforderungen zu bewältigen.
Die Einführung der Jugendapp erfordert die wiederholte und persönliche Ansprache und Begleitung von Jugendlichen, die Kommunikation mit Fachkräften vor Ort, die Kommunikation mit Entscheidungsträger*innen sowie mit dem Verein Jugendarbeit.digital, der die technischen Anpassungen an der App vornimmt und den gesamten Einführungsprozess begleitet. Auch wenn die Einführung der/einer Jugendapp perspektivisch den Jugendlichen und auch den Einrichtungen für Jugendlichen nutzt, so erfordert die Koordination Zeit. Wenn dies neben den primären Aufgaben umgesetzt wird, verzögert sich der Prozess.
Begeisterung und direkte Ansprache
In den beiden Städten hat sich gezeigt, dass Begeisterung für die Implementierung der Jugendapp von Fachkräften für die Jugendapp allein nicht ausreichend ist. Es braucht die Begeisterung von Jugendlichen und von Entscheidungsträger*innen. Und es braucht neben der Begeisterung, diejenigen, die die Jugendlichen und die Fachkräfte direkt und kontinuierlich ansprechen, damit diese bspw. die Umfrage zur Jugendapp mitmachen, die in der ersten Phase der Implementierung zur Bedarfserhebung und Ausgestaltung der App stattfindet. Aber es braucht auch diejenigen, die von der Idee begeistert sind, um andere zum Mitmachen zu überzeugen und mögliche Zweifel auszuräumen.
Content und Mitstreiter*innen
Die Jugendapp ist so angelegt, dass der Content (bspw. aktuelle Termine, die für die Zielgruppe Jugendliche interessant sind) von einer Gruppe von Menschen eingepflegt wird. Dies können Fachkräfte, aber auch Jugendliche sein. Wichtig ist, dass die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt wird, denn eine App ist für Jugendliche nur interessant, wenn sie sich die Inhalte auf ihre Altersgruppe beziehen, wenn sie aktuell, attraktiv und in ausreichender Zahl vorhanden sind.
Netzwerke neu denken
Gerade in Orten, in denen es nur einen Jugendclub und wenig weitere spezielle Angebote/Strukturen für Jugendliche existieren, braucht es eine Erweiterung vorhandener Netzwerke, um Jugendliche zu erreichen und weitere Partner*innen für die Erstellung/Einpflege von Content in die Jugendapp zu gewinnen. Es benötigt einen Blick über den Tellerrand: Wer in der Stadt hat auch mit Jugendlichen zu tun? Vereine, Schulsozialarbeiter*innen, Jugendberatungsstellen, Musikschulen, Tanzschule, Stadtbibliotheken, Förderschulen, Streetworker*innen, Jugendmigrationsdienste, Künstler*innen…
15. Kinder- und Jugendbericht
Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2017
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf
Jugendapp
Jugendarbeit.digital, Schweiz 2024
https://jugendarbeit.digital/produkte/jugendapp
Themenbox Digitale Jugendbeteiligung
In der jumblr-Themenbox zu digitaler Jugendbeteiligung sind zahlreiche Materialien zum Thema zu finden
https://medienbildung-brandenburg.de/project/digitale-jugendbeteiligung
„Wissen geht raus“ – Impulsbeitrag: Digitale Beteiligung
Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), Berlin 2023
https://www.youtube.com/watch?v=jd2H5U6EvVI
Youthpart – Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft
Hrsg.: Herausgeber: IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., Bonn 2014
https://ijab.de/fileadmin/redaktion/PDFs/Shop_PDFs/youthpart-eParticipation_abschluss-web.pdf